« Die fünfte Jahreszeit für Genießer »
Mit Frühling, Sommer, Herbst und Winter wird ein Jahr komplett. Oder etwa doch nicht? In Südtirol würde man das entschieden verneinen, denn eine – vielleicht sogar die beste – Jahreszeit fehlt in dieser Aufzählung: das Törggelen. Die Zeit von Anfang Oktober bis Ende November gilt in der alpinen Region als kulinarischer Höhepunkt des Jahres, in der sich alles um regionale Südtiroler Spezialitäten und neuen Wein dreht.
Neuer Wein
Mit dem jahrhundertealten Brauch, der seine Ursprünge im Eisacktal hat, wird in den Weinregionen Südtirols das Ende der Weinlese gefeiert. Traditionell trinkt man zu diesem Anlass süßen Traubenmost, den sogenannten Siaßn, und verkostet den Nuien, den ersten Wein des aktuellen Jahres. Selbstverständlich darf deftige Hausmannskost rund um die fünfte Jahreszeit nicht fehlen, daher kredenzt man Einheimischen wie Touristen in Bauernstuben und Buschenschänken frische, regionale Köstlichkeiten aus eigener Herstellung.
Die klassische Südtiroler Marende, eine Jause aus Speck, Käse, Kaminwurzen und Schüttelbrot, zählt ebenso dazu, wie die typischen Törggele-Gerichte Gerstensuppe, süße Krapfen, Nüsse (Nussn), Kastanien (Keschtn) und als deftiger Höhepunkt die sogenannte Schlachtplatte. Wer das unvergleichliche Lebensgefühl dieser kulinarischen Saison in allen Facetten genießen will, kann sich im Folgenden ein Bild davon machen, wie genussvoll der Brauch des Törggelen in der schönsten Weinregion der Alpen zelebriert wird.
Der Ursprung
Lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen, wenn Ihnen jemand weismachen will, das Wort Törggelen leite sich von torkeln ab. Sicherlich, der Schluss liegt nahe, denn schließlich ist der Genuss von Traubenmost und Südtiroler Weinen ein immanenter Bestandteil des geselligen Beisammenseins. Allerdings bräuchte es eine große Menge vom Siaßen, der mit gerade mal einem Prozent Alkohol zu Buche schlägt, und immerhin einige Gläschen des 7-prozentigen Nuien, um tatsächlich weich in den Knien zu werden.
Der Ursprung des Begriffes hat also nichts mit dem Rausch, wohl aber etwas mit Wein zu tun. Torquere ist das lateinische Wort für pressen, und torculus bedeutet Weinpresse. In Südtirol wird diese Bezeichnung leicht abgewandelt immer noch verwendet, denn Weinpresse nennt man in der Region Torggl.
Wie das genussreiche Feiern rund um die Weinlese tatsächlich zustande kam, ist nicht eindeutig belegt. Einige Erzählungen machen die Entstehung der Tradition an der alljährlichen Feier für die Erntehelfer fest, die die Bauern zum Dank ausrichteten. Andere Anekdoten berichten von der traditionellen Zusammenkunft unter Nachbarn, die miteinander den jungen Wein verkosteten. Eine dritte Ursprungserzählung leitet den Brauch davon ab, dass Wirte und Menschen aus der Stadt im Spätherbst aufs Land fuhren, um bei den Winzern den frischen Most und jungen Rebsaft zu probieren. Auch wenn nicht sicher ist, welche Ereignisse letztendlich dafür ausschlaggebend waren, dass Törggelen in der Südtiroler Kultur bis heute tief verwurzelt ist, so kann doch zweifelsfrei behauptet werden, dass es eine Bereicherung für den Jahreskreis der Alpenregion ist.
Wie geht Törggelen?
Wer es „richtig“ machen, und die meisten Eindrücke des herbstlichen Südtirols mit nach Hause nehmen möchte, der geht(!) Törggelen. Wenn man nämlich mit dem Auto zum Buschenschank fährt, büßt man den unvergleichlichen Wander-Genuss ein, bei dem sich die Weinregion in buntem Blätterkleid und goldenem Licht präsentiert. Zahlreiche Spazierwege ziehen sich wie ein Netz durch die sanften Hügel und eröffnen vom Eisacktal über Brixen, bis hin zu Meran, Bozen und Kaltern wunderschöne Aussichten und eine herrliche Landschaft.
Der sogenannte Kastanienweg ist zur Törggelezeit besonders beliebt, da die bunt gefärbten Haine nicht nur optisch begeistern, sondern auch die Vorfreude auf die köstlichen Maroni steigern, die nach dem Marsch zum Buschenschank warten. Traditionell werden die Keschtn über dem Feuer in einer gelochten Maronipfanne aus Gusseisen geröstet, bevor sie dann frisch und warm mit Butter auf den Teller kommen. Ein fruchtiger Schnaps aus den Bergen macht die Maroni-Jause komplett.
Die Speisekarte
Kastanien sind nicht das einzige Highlight unter den vielen Törggele-Gerichten. Deftig sind die Speisen jedoch allesamt, was wiederum dafürspricht, das Auto in der Törggelezeit stehen zu lassen und Wege zu Fuß zurückzulegen.
Ein anständiges Törggele-Menü beginnt meist mit der Vorspeise in Form von Knödeln, Schlutzkrapfen oder Gerstensuppe. Danach kommt die üppige Schlachtplatte auf den Tisch. Auf diesem meist überbordenden Fleischteller finden sich diverse Wurstsorten (fast immer Blut- und Hauswurst), Surfleisch und verschiedene Stücke vom Schwein. Gebettet sind die Köstlichkeiten auf einer Schicht Sauerkraut oder Kartoffeln, den sogenannten Erdäpfelblattln.
Nach einem solch üppigen Genuss, mit dem meist nur große Gruppen fertig werden, sind erst einmal eine Runde Schnaps und eine kleine Pause fällig, bevor es mit den süßen Krapfen weitergeht. Wer es übrigens nicht ganz so schwer mag, kann die Schlachtplatte natürlich auch gegen eine klassische Marende eintauschen. Die geht in Südtirol immer und bringt einen kulinarischen Querschnitt der Genussregion auf den Teller. Vor dem nächsten Gang braucht man dann lediglich eine Serviette, denn die köstliche Krapfen-Nachspeise wird – genau wie die Jause – mit den Händen gegessen. Durch ihre dicke Schicht Staubzucker und die süße Füllung aus Maroni- oder Zwetschgenmus sind die frittierten Teigtaschen auch nicht gerade in der Sparte der leichten Kost angesiedelt. Ein Glas neuer Wein passt hervorragend zur gehaltvollen Nachspeise, denn er fügt der Süße eine säuerliche Komponente hinzu, die dafür sorgt, dass die geschmackliche Bandbreite der Törggele-Spezialitäten herrlich ausbalanciert bleibt.
Südtiroler Hotspots der Törggelezeit
Überall dort, wo es in Südtirol Weinberge gibt, ist das Törggelen zuhause. Veranstaltungen rund um die fünfte Jahreszeit variieren aber je nach Region. So gibt es etwa das Gassltörggelen in Klausen, bei dem sich das Feiern von der Stube auf die Dorfstraßen verlagert. Umzüge und die Krönung der Törggelekönigin ziehen Jahr um Jahr zahlreiche Besucher an.
Das Törggelefest in Galsaun im unteren Vinschgau bringt Ende Oktober für eine Woche lang Musik, Unterhaltung und kulinarische Schmankerl in die Region. Und in den Eisacktaler Kastanienwochen finden Freunde der Haubenküche die Edelkastanie auf zahlreichen Speisekarten gehobener Restaurants wieder. Mit unzähligen Raffinessen präsentieren Spitzenköche die Nationalfrucht in neuen Kreationen.
Entlang der Südtiroler Weinstraße warten zahlreiche Lokale, Stuben und Buschenschänken auf Gäste. Manche Bauern öffnen nur in diesen wenigen Wochen ihre Betriebe für Besucher und empfangen gesellige Runden mit authentischer Bewirtung und köstlichen, hauseigenen Spezialitäten.
Um diese besonderen Orte ausfindig zu machen, bedarf es keiner aufwendigen Planung. Gutes Schuhwerk, eine Wanderkarte und ein großer Hunger werden Sie zuverlässig an Ihr Genussziel führen, ganz gleich ob Sie sich in Meran, Bozen, Brixen oder einer anderen Gegend Südtirols befinden
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