« Die ganze Kraft der Alpen in zarten Blüten »
Sagenkraut, Wolfsblume, Ringelrose, Fohlenfuß, Himmelsstengel oder Silberstern – der Volksmund kennt wunderschöne Namen für wildwachsende Alpenkräuter, die im Frühling und Sommer Wanderwege säumen oder Almwiesen in bunte Blütenmeere verwandeln. In sämtlichen Größen und Formen entwinden sie sich den teilweise kargen Gebirgsböden und tupfen den Bergen Farbe auf. Bergkräuter sind ein kostbares Geschenk der Natur, das sich für den Menschen bei achtsamer Verwendung sprichwörtlich zu voller Blüte entfalten kann.
Große Vielfalt in rauem Klima
Edelweiß und Enzian tauchen vermutlich als erstes vor dem inneren Auge auf, wenn man an Bergkräuter denkt. Nicht weiter verwunderlich, denn immerhin sind die zarten Pflanzen symbolträchtige Motive für Tradition und Gebirgsromantik und gelten als Wahrzeichen der Alpen. Ihr Lebensraum liegt in hochalpinen Regionen und wie viele andere Wildkräuter stehen sie unter Naturschutz. Trotz ihrer Berühmtheit sind Edelweiß und Alpen Enzian jedoch nur ein kleiner Bestandteil der Sortenvielfalt, aus denen sich der Bergbewuchs zusammensetzt. Etwa 4500 Pflanzenarten sind in den Alpen zu finden. Sie wachsen in üppiger Zusammensetzung auf nährstoffreichen Wiesen, blühen in speziellen Artenformationen in sumpfigen Regionen an Bächen und Gebirgsseen oder zwängen sich als Einzelkämpfer zwischen Felsspalten hervor. Ihre Verbreitung richtet sich nach Bodenbeschaffenheit und Höhenlage und variiert im Gebirge dementsprechend. Das raue Klima und die oftmals stark schwankenden Witterungsverhältnisse verlangen dem Alpenkraut einiges ab, doch wie es sich bereits so oft in der Geschichte der Natur gezeigt hat, findet das Leben durch Anpassung und Veränderung auch unter unwirtlichsten Bedingungen einen Weg, um zu bestehen.
Die Kreativität der Natur
Die Methoden, mit denen sich Alpenkräuter ihrer Umgebung anpassen, sind zahlreich und kreativ. Dort wo die Lichteinstrahlung gering ist, haben sie gelernt, auch mit einem Bruchteil an Sonnenzeit die volle Photosynthese-Leistung zu erbringen. In ungeschützten Bereichen bieten sie Sturmböen durch lockeren oder bodennahen Wuchs wenig Widerstand und gegen Austrocknung weisen einige Bergkräuter dichte Behaarung oder wachsähnliche Schichten auf den Blättern auf. Manche Bergpflanzen wie die Silberwurz wirken dennoch so zart, dass man ihnen ihren Überlebenswillen gar nicht zutraut, schon gar nicht die Fähigkeit, sich je nach Region bis in Höhenlagen von 3000 Metern empor zu kämpfen. Andere wiederum strahlen durch robuste Stiele und kräftige Blattformen die zähe Lebenskraft aus, die in ihnen steckt, man denke nur an den Huflattich oder die unbeugsame Hauswurz, die sich schon gemäß ihres botanischen Namens Sempervivum durch Nichts und Niemanden vom Gedeihen abbringen lässt. Viele Alpenkräuter bilden im Gegensatz zu Talpflanzen außerdem ein längeres und feineres Wurzelsystem aus, um auch die Nährstoffe in tieferen Bodenlagen noch zu erreichen. Die Natur tut ihr Bestes, um ihre Artenvielfalt zu bewahren. Mit Gesetzen zum Schutz bedrohter Bergpflanzen kann der Mensch einen wertvollen Beitrag leisten, um auch in Zukunft in den Genuss einer Alpenflora zu kommen, die buchstäblich von A(rnika) bis Z(itronenmelisse) reicht.
Wilde Küchengehilfen
Wildkräuter bereichern seit vielen Jahrhunderten den Speiseplan von Mensch und Tier. Sie schmecken intensiver als gezüchtete Kräuter und sind teilweise in ihrer geschmacklichen Eigenart sogar einzigartig, wie beispielsweise der Sauerampfer. Das Angebot von essbaren Wildpflanzen im Handel ist rar. Da die standardisierte Gewinnung von Bergkräutern schwierig ist, hat das wilde Alpenkraut kaum wirtschaftliche Bedeutung. Kleinbetriebe vor Ort können sich die Naturschätze allerdings durchaus zu Nutze machen. Bergbauern haben genaue Kenntnis über Alpenkräuter, die zum Würzen und Verarbeiten in der Küche verwendet werden und wissen, welche Eigenschaften die Bodenstruktur erfüllen muss, damit die Bergkräuter auch im eigenen Anbau gedeihen. Einige wenige Betriebe besitzen spezielle Lizenzen, um auch auf geschützte Arten zugreifen zu dürfen. So ist es etwa in den Berchtesgadener Alpen nur den sogenannten Wurzengrabern erlaubt, den naturgeschützten gelben Enzian zu ernten, aus dessen Wurzeln man Schnaps brennt. Eigener Anbau und gezielte Züchtung der Kräuter sind allerdings wesentlich erträglicher als das Sammeln von Wildkräutern und so stellen Kleinbetriebe häufig aus ihren Beständen Tee, Bergkräutersalz, Gewürzmischungen oder schmackhaften Alpenbitter her.
In der Küche finden Bergkräuter auch als Einzelsorten vielfältige Anwendung: Das leicht bittere Eisenkraut kann deftigen Fleischgerichten eine schöne Würze verleihen, mit getrockneten Blättern der Ringelblumenblüte und einer Brise Bergkräutersalz entsteht in wenigen Arbeitsschritten aus einem Paket Butter eine exquisite Aufstrichkreation und Kräuter-Klassiker wie Thymian, Salbei oder Liebstöckel sollten ohnehin an keinem Herd fehlen. Doch die Alpenflora kann noch mehr: Einige Kräuter, die in den Bergen zu finden sind, dienen nicht nur dem Würzen von Speisen, sondern eignen sich sogar selbst als Gemüsebeilage. So etwa können die Wurzeln von Eibisch oder Waldziest ähnlich wie Kartoffeln verarbeitet werden und sind eine hervorragend authentische Beilage zu Wild. Und da ihre Zubereitung in dieser Form beinahe in Vergessenheit geraten ist, bringen sie neben dem guten Geschmack auch ein wenig Alpenromantik auf den Teller.
Alpenwellness für Zuhause
Gebirgspflanzen finden häufig Anwendung im Bereich der Erholung und entfalten herrlichen Aromen bei Wellness Behandlungen mit Ölen und Essenzen aus den Alpen. Wenn für einen Entspannungsurlaub aber gerade kein Platz ist, kann man sich die Duftkur aus den Alpen mit einem Kräuterbad auch relativ einfach in die eigenen vier Wände holen. Die üblichste Methode, um aromatisches Badewasser herzustellen ist jene, bei der aus dem Alpenkraut einen Sud gekocht und dem heißen Wasser zugesetzt wird. Ergiebiger wird der Einsatz der Alpenkräuter allerdings, wenn man etwa zwei Handvoll Pflanzen in ein sauberes Tuch einbindet und dieses Säckchen in einem Topf mit ein bis zwei Litern Wasser überbrüht. Nach etwa 15 Minuten kann die Alpenkraut Essenz gemeinsam mit dem Säckchen dem Bad beigefügt werden. Auf diese Weise entfalten sich die Aromen ähnlich intensiv wie im Sud und man benötigt weniger Bergkräuter.
Auch ein guter Tee haucht jedem Abend ein wenig alpine Ursprünglichkeit ein. Bibernelle, Zitronenmelisse oder Heublume sind nur ein paar der möglichen Kräutersorten, die sich zum Aufbrühen eignen. Wer sich nicht mit einer Geschmacksrichtung alleine zufriedengeben will, kann auf Teemischungen oder den Alpenbitter setzen, der viele Kräuter in sich vereint.
Trickreiche Schönheiten
Manche Bergkräuter hat die Natur mit praktischen Extras ausgestattet, die bei richtiger Verwendung zutage treten und uns den Alltag erleichtern können. Das Bergveilchen eignet sich zum Beispiel äußerst gut, um Saucen einzudicken. Außerdem vertreibt sein Duft Ungeziefer, daher können die getrockneten Blümchen auch einfach in den Kleiderschrank gelegt werden. Die Hauswurz bietet ähnliche Nutzungsmöglichkeiten wie Aloe Vera und ist komplett essbar und Arnika ist unter anderem ein Lieferant von ätherischem Öl. Doch man kann sich auch optisch an der Vielfalt von Gebirgspflanzen erfreuen und mit einem Wiesenstrauß sein Zuhause schmücken. Denn obwohl man Bergkräuter bisweilen mit Unkraut gleichsetzt, sind sie doch Kunstwerke der Natur. Als Wahrzeichen der Alpen werden sie tausendfach illustriert, gedruckt und kopiert. Auf welche Art könnten Gebirgsblumen ihren ehrenvollen Titel also besser repräsentieren als in Form ihrer eigenen Gestalt?